LAG Berlin-Brandenburg: Alkohol am Arbeitsplatz: ein Kündigungsgrund?

LArbG Berlin-Brandenburg vom 17. August 2009

AZ:    10 Sa 506/09

Das Landesarbeitsgericht Berlin hatte über eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitgebers wegen Alkoholisierung am Arbeitsplatz zu entscheiden. Dem Rechtstreit  gingen bereits – im Verfahren nicht streitgegenständliche – Kündigungen wegen mehrfacher Alkoholisierung am Arbeitsplatz voraus,  wo i.Ü. auch ein striktes betriebliches Alkoholverbot bestand. Die damaligen Kündigungen wurden jedoch auf Intervention des Betriebsrates und nach der Erklärung des Klägers, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, sowie nach einer abstinenten Phase des Klägers zurückgenommen.Gleich am nächsten Tage erschien der Kläger wieder alkoholisiert. Für den Arbeitgeber war der Fall besonders brisant, da der Kläger als Techniker auch unter Stromspannung arbeitete,Die darauf erfolgten Kündigungen des Arbeitgebers hatten allerdings vor Gericht keinen Bestand.Das LAG hielt die Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam und begründet seine Entscheidung, insbesondere hinsichtlich der personenbedingten Gründe, in der Hauptsache wie folgt:“ … denn Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußert sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle. Der Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht mehr verzichten (BAG, Urteil vom 9. April 1987 – 2 AZR 210/86). Wenn die Alkoholabhängigkeit eine Krankheit ist, folgt hieraus zwingend, dass auf eine Kündigung, die im Zusammenhang mit dieser Alkoholsucht des Arbeitnehmers steht, die Grundsätze anzuwenden sind, die das Bundesarbeitsgericht für die krankheitsbedingte Kündigung entwickelt hat.Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und für die Stellung der bei einer krankheitsbedingten Kündigung zwingend notwendigen Negativprognose, dass der Arbeitnehmer über eine längere Dauer mit deutlich eingeschränkter Leistungsfähigkeit arbeite oder ganz ausfalle, hat der Arbeitgeber, der einem alkoholkranken Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen kündigen will, in der Regel zuvor die Chance zu einer Entziehungskur zu geben (BAG, Urteil vom 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98). Die negative Gesundheitsprognose kann nämlich in der Regel erst dann gestellt werden, wenn der Arbeitnehmer entweder zur Therapie nicht bereit oder trotz vorausgegangener Therapie rückfällig geworden ist (BAG, Urteil vom 16. September 1999 – 2 AZR 123/99). Da es für die Wirksamkeit der Kündigung auf den Zeitpunkt ihres Zugangs ankommt, ist eine erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Arbeitnehmer erklärte Therapiebereitschaft in der Regel unbeachtlich. Eine von ihm nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Therapie und ihr Ergebnis können daher normalerweise nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden (ausführlich dazu BAG, Urteil vom 9. April 1987 – 2 AZR 210/86).Von einer mangelnden Therapiebereitschaft des Klägers zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 2. Oktober 1998 und damit von einer negativen Prognose vermag die Kammer nicht auszugehen. Denn der Kläger hat sich bis zu diesem Zeitpunkt an alle Festlegungen in der Vereinbarung vom 17. Juli 2008 gehalten. Noch am 30. September 2008 hat er seine Leberwerte untersuchen lassen. Die Gespräche in der Selbsthilfegruppe hat er nicht abgebrochen oder auch nur unterbrochen.Auch aus dem so genannten Rückfall beim Kläger lässt sich keine zwingende negative Prognose für die weitere, nachteilige Entwicklung seiner chronischen Trunkenheit ableiten. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach ein Rückfall nach einer zunächst erfolgreichen Entwöhnungskur und längerer Abstinenz ein endgültiger Fehlschlag jeglicher Alkoholtherapie für die Zukunft bedeutet. Maßgebend ist stets die Beurteilung im Einzelfall (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 4. September 2001 – 11 Sa 1918/00). Statistiken belegen, dass innerhalb von vier Jahren nach jeder Alkoholismustherapie über 50% aller Patienten rückfällig werden (vgl. Wilcken/Rochow, Rückfallprävention bei Alkoholismus, S. 1). „Soweit sich der Arbeitnehmer auf seine Alkoholsucht beruft, muss der Arbeitgeber die Kriterien einer krankheitsbedingten Kündigung beachten, die in der Regel eine langwierige Prozedur. Die Kriterien sind letztlich nur in Ausnahmefällen erfüllbar. Diesen nahm das Gericht aber vorliegend nicht an. Insbesondere war die Alkoholisierung des Klägers gleich am Folgetag nach Rücknahme der ersten Kündigungen kein ausreichender Grund.Ein einmaliger Rückfall nach einer begonnenden Therapie muss nach Ansicht des Gerichts vom Arbeitgeber hingenommen werden. Nur bei einem Therapieabbruch und Therapieunwilligkeit wäre dies anders zu beurteilen.Auch die verhaltensbedingten Gründe, die in der Regel erfolgsversprechender sind, hier hat der Kläger gegen ein betriebliches Verbot verstoßen, hat das LAG Berlin – Brandenburg mit aus „formellen“ Gründen (mangelnde Betriebsratsanhörung) verneint:“ Die Kündigung könnte nach den Ausführungen der Beklagten auch als verhaltensbedingte Kündigung angesehen werden, denn ein alkoholbedingtes Fehlverhalten kann auch unter dem Aspekt der Gefährdung der betrieblichen Sicherheit kündigungsrelevant sein (vgl. HK-ArbR/Roos § 1 KSchG, RN 114). Allerdings wurde dazu der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat nicht angehört. Diesem wurde lediglich die „Trunkenheit im Dienst“ als verhaltensbedingter Grund vorgetragen.Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (seit BAG, Urteil vom 28. Februar 1974 – 2 AZR 455/73 ist eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat zuvor überhaupt beteiligt zu haben, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt. Aus dem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen. Der Arbeitgeber genügt daher der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig umschreibt oder lediglich ein Werturteil abgibt, ohne die für seine Bewertung maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen. Bei einer Kündigung im Zusammenhang mit Alkoholismus gehört dazu auch die Mitteilung, ob es sich um eine personenbedingte und/oder um eine verhaltensbedingte Kündigung handeln soll. Dieses war der Beklagten auch grundsätzlich bekannt, wie das Anhörungsschreiben vom 22. Oktober 2008 belegt. Allerdings gehören zu den mitzuteilenden Kündigungsgründen dann auch die Tatsachen, die den jeweiligen Kündigungsaspekt bedingen sollen. Und die Gefährdung der betrieblichen Sicherheit hat die Beklagte erst im gerichtlichen Verfahren angesprochen. Insofern konnte dieser Sachverhalt aber bei der Beurteilung der Kündigung keine Berücksichtigung finden.“Hier finden Sie die Entscheidung im Original.